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October 19

GROSCHEN

Hyperlinks für die Halbwelt

Editorial

Es war einer der Tage, an denen der Nebel tief über den Straßen hing und das Kondenswasser dem eigentlichen Zweck der Fensterscheibe entgegenwirkte. Als sich die ersten Sonnenstrahlen in der dünnen Wasserfläche brachen, studierte ich das Leben der Anderen mit verquollenen Augen auf Instagram. Der Wecker erinnerte mich fünf Minuten später an die angedachte Struktur des Tages. Ich überlegte kurz mich krank schreiben zu lassen, dachte aber an meine Pflichten als Arbeitnehmer, sprang mit gesenkten Kopf unter die Dusche und danach mit gesenkten Kopf in die U8. Der Tag im Büro verging schnell.

Auf dem Weg nachhause reflektierte ich kurz meinen nicht existenten kreativen Output der letzten Monate. Warum hatte ich die letzten Monate nichts veröffentlicht? Arbeite ich überhaupt an Sachen? Ist die Einswerdung mit der Lohnarbeit vielleicht schon beendet? Ich fand keine Antworten auf diese Fragen und lies sie dementsprechend hinter mir, als ich aus der Bahn trat. Das bedrückende Gefühl nahm ich jedoch mit.

Auf der Prinzenallee kam es dann zu meiner Offenbarung. Aus dem Augenwinkel erspähte ich eine mir bekannte Person zwischen all den Fremden. Ich konnte das Gesicht nicht richtig zuordnen. Die Luft wurde enger, umso näher wir dem türkischen Supermarkt kamen. Obst und Gemüse wurde auf dem Bürgersteig verkauft, Preise wurden herumgeschrien. Unsere Blicke kreuzten sich im kakophonischen Dickicht. Die warmen, vertrauten Augen wirkten wie eine Detox Kur. Meine Körper füllte sich mit den Vitaminen, die mir die letzten Tage in der grauen Stadt so gefehlt hatten. Juicy Gay und Asad John standen vor mir bzw. liefen an mir vorbei. Ich blickte ungläubig. Juicy zwinkerte mir zu. Die Sinnkrise trat in den Hintergrund und ein aufflammender DIY Ethos erschien auf der Schaubühne meines Herzens.

Juicy Gay war für mich immer die Speerspitze einer neuen jungen Generation von Menschen die im Internet großgeworden sind und begriffen haben, dass es keine Gatekeeper mehr gibt. Output in jeglicher Form, in jeder Lebenslage ohne Rücksicht auf Hörerschaft, für einen selber, für die Lacher. Output als Dokument eines Wegs zu einem größeren Ziel - das vielleicht einmal erreicht wird, vielleicht auch nicht. Diese Philosophie kann wie ein Befreiungsschlag für Leute wirken, die durch Perfektionismus gelähmt werden und im Zuge dessen an ihren Fähigkeiten zweifeln . Das abfeiern des Prozesses, der kleinen Ideen bringt uns näher zusammen, macht uns freier und lässt das beuysische Mantra Jeder Mensch ist ein Künstler Wirklichkeit werden.

Und was hat das hier nun mit Juicy Gay zu tun? Und warum brauch es dafür eine extra Seite? Der Groschen soll ein Ort des Bewusstwerdens sein, ein monatliches Dokument darüber, was mich begeistert, was mich mitnimmt, was ich gelernt habe. Der Groschen soll organisch wachsen und sich verändern. Der Groschen wird nächsten Monat vielleicht anders aussehen, vielleicht nicht, vielleicht wird ein einziger zusammenhängender Beitrag hier stehen, vielleicht nicht. Das einzige was bleibt ist, dass der Groschen monatlich aktualisiert wird.

Dieser Ort solle eine Lichtung im Internet sein, welches sonst nur noch aus unpersönlichen Templates oder Facebook- und Instagramseiten besteht. An diesem Ort sind Fehler erlaubt, sie sind Teil des Prozesses. Dieser Ort soll sich mit mir verändern. Dieser Ort ist ein ein Learning Garden, indem Geschehnisse reflektiert und Gedankenschlösser aufgebaut und eingerissen werden können. Dieser Ort soll ohne den Gedanken an Vermarktung existieren können.

Den letzten Monat habe ich nun aufmerksamer als sonst meine Umwelt betrachtet, Artikel gelesen, Dokumentation geschaut und Musik gehört, meist mit dem Gedanken im Hinterkopf, bestimmte Dinge hier zu präsentieren. Ich hätte die erste Ausgabe des Groschen gerne etwas positiver gestaltet, leider kam es in diesen vier Wochen zu dem rechtsextremen Anschlag in Halle und zu der türkischen Invasion von Rojava. Zwei Vorfälle die der ersten Ausgabe eine gewisse Schwere verleihen. Diese Themen allerdings gerade deswegen nicht anzureißen hätte sich falsch angefüllt und nichts mit meiner Lebensrealität zu tun gehabt.

Politik

Der Tag an dem zwei Menschen in Halle von einem Rechtsextremisten umgebracht worden sind, bleibt mir sehr dumpf in Erinnerung. Anfangs war da die Unsicherheit - es gab keine konkreten Informationen darüber, was genau geschehen ist. Dann kamen die Fotos und die Information, dass eine Synagoge angegriffen worden sein soll. Ich dachte an das Hannibal-Netzwerk, als ich die Fotos des Attentäters mit Helm, Stiefeln und Gewehr sah. Das Ziel, Juden an ihrem höchsten Feiertag Jom Kippur umzubringen, blieb ihm glücklicherweise, dank seiner Inkompetenz, versagt. Doch auch Inkompetenz und Waffen können töten - an diesem Nachmittag starben Jana L. und Kevin S.


Rene hat zu dem Anschlag einen Artikel veröffentlicht, der etwas tiefer geht als bisherige Veröffentlichungen aus den großen Medienhäusern. Die Radikalisierung durch Chan-Seiten, das Streaming und der Austausch für und mit diesem Publikum, würde diesen Anschlag zwischen Dylann Roof, Christchurch und El Paso einreihen. Rene verweist auf den Begriff Stochastischer Terrorismus_ (die gezielte Radikalisierung einer Gruppe von Menschen durch Massenmedien mit dem Ziel, dass ein Element aus dieser Gruppe eine Grenze überschreitet und zu gewalttätigen Mitteln greift) _um diese Anschläge in Verbindung mit den Internetplattformen verstehen zu können. Weiter fordert er, die Rolle von Trump, Höcke, Kubiczek und Sellner in diesem Zusammenhang zu hinterfrage.


Veronika Kracher setzt die Tat in ihrem Artikel ebenfalls in Beziehung zu der rechtsextremen Szene auf den Chan Boards und verweist auf die Gemeinsamkeiten mit den oben aufgeführten Anschlägen. Die Radikalisierung durch die Chan Boards und toxische Männlichkeit sind Charakteristika eines neuen Typus Rechtsextremer, die in ihren Echokammern Verschwörungen zusammenspinnen, ohne das Haus verlassen zu müssen. Die Idee des großen Austausches _ist Knotenpunkt für antisemitistische, antifeministische und rassistische Erzählungen und schafft die Verbindung zu anderen rechtsextremen Gruppierungen, wie beispielsweise der Identitäre Bewegung und ihrem Kernthema _Umvolkung. _Martin Sellner (Chef und Posterboy der österreichischen IB) _wurde damals durch Spenden des Christchurch Attentäters finanziert, dieses Mal flossen (noch) keine Spendengelder und Sellner distanziert sich kurz nach dem Attentat in Halle von dieser Tat - die nötige Selbstreflexion zu den thematischen Schwerpunkten seiner Karriere und der Karriere seiner Frau bleibt aus.


Die verschiedenen Schritte der rechtsextremen Radikalisierung durch Subkulturen im Internet wurde vor einigen Tagen von Innuendo Studios unter "The Alt-Right Playbook: How to Radicalize a Normie" aufgearbeitet. Gerade vor dem Hintergrund des rechtsextremistischen Anschlags in Halle, lässt sich aus diesem Video einiges lernen. Einige Punkte, die mir hängen geblieben sind: Im Gegensatz zu früher, wo es feststehende rechtsextreme Ortsgruppen gab die Menschen radikalisiert haben, läuft diese Radikalisierung heutzutage über viele kleine Kanäle, auf denen die Ideologie indirekt angesprochen wird. Hierdurch wurde die Reichweite dieser Gruppen enorm erhöht, die Kontrolle über ihre Anhänger allerdings vermindert. Solche Gruppen versucht Subkulturen die großteils aus weißen, cis Männer bestehen zu infiltrieren und Unsicherheiten (Todesfälle in der Familie, soziale Isolation, depressive Episoden, etc.) für sich auszunutzen. Aus eigener Erfahrung könnte ich hier beispielsweise verschiedene Subreddits aufführen, die sich mit den Themenbereichen Produktivität und Self-Improvement auseinandersetzen. Die Radikalisierung entsteht durch die schrittweise Ergänzung unterschiedlicher Theorien. Ich fand es vor diesem Hintergrund interessant, warum es so wenig linke, aufklärerische Seiten/Szenen gibt, um diesen Personenkreis aufzufangen (positiv hervorzuheben sind menslib und breadtube). So sehr es auch meinen Vorstellungen entgegenläuft, sollten wir bei der Suche nach “Dating Tipps” nicht daran arbeiten, neben Pickup Artists auch auf feministische Theorien zu stoßen?


Der Anschlag in Halle teilte sich den Tag traurigerweise ebenfalls mit der Invasion der Türkei auf Rojava. Trump hatte zuvor angekündigt, seine Unterstützung für die syrischen Kurdinnen zurückzuziehen und damit den stärksten Verbündeten im Kampf gegen den IS verraten. Die syrischen Kurdinnen erlangten in dem Gebiet ab 2012 Autonomie und schufen eine säkulare, demokratische Community, die von sozialistischen und libertären Ideen inspiriert war und sich der Befreiung der Frau verschrieben hatte. Seit der anarchistischen Revolution von 1936 in Spanien hatte es kein Projekt in dieser Größenordnung gegeben.


Das kurdische Sprichwort “No Friends But The Mountains” hat sich in den letzten Tagen wieder einmal bewahrheitet. Nachdem die Türkei einige Tage lang mit deutschen Panzern Rojava angriff, haben sich die Kurd*innen in ihrer ausweglosen Lage dazu entschieden, sich Baschar al-Assad zu ergeben. Die Chancen darauf, dass ein selbstverwaltetes Rojava unter dem Diktator Baschar al-Assad weiterhin bestehen kann, werden sehr gering ausfallen. Um eine Idee davon zu bekommen, was eine erfolgreiche türkische Invasion für Rojava bedeuten könnte, reicht ein Blick nach Afrin.


Dort stellten die Kurdinnen bis 2011 rund 95 Prozent der Bevölkerung. Nach der blutigen, türkischen Militäroffensive 2018 wurden viele kurdische Familien vertrieben und durch arabische Sunniten und Familien islamistischer Kämpfer ersetzt. Universitäten und Schulen wurden geschlossen und durch Schulen mit türkischen Lehrplan ausgetauscht. Die Besatzungsmacht verpflichtete die Kurdinnen dazu arabisch oder türkisch zu sprechen und zwangen Frauen zur Verschleierung.


[Ich hätte den Konflikt hier gerne ausführlicher beschrieben. Doch immer wenn ich genauer verstehen wollte, was dort gegenwärtig vor sich ging, verlor ich mich in Tausenden Twitter Threads. Fotos aus dem Kriegsgebiet die auf den Einsatz von Napalm und weißen Phosphor hindeuteten, freigelassene Faschisten des IS die sich an dem Krieg gegen die Kurd*innen beteiligten und das Foto einer massakrierten Journalistin... Ich beschloss mich dazu, dieses Thema erst einmal ruhen zu lassen, weil es meiner psychischen Gesundheit nicht gut tat und die Veröffentlichung des Groschens dadurch schon enorm verzögert wurde.]


Der Oktober hätte durch die Aktionswoche von Extinction Rebellion und dem Debakel rund um das Klimapaket weiterhin im Zeichen des Klimaschutzes stehen können - wenn nicht der oben beschriebene Clusterfuck eingetreten wäre. Kurz bevor XR in Berlin den großen Stern besetzen wollte, wurde die Bewegung bei Twitter kontrovers diskutiert. Auslöser war ein Fragebogen den XR an seine Mitglieder schickte. Hierin wurden im Zuge des Protestcamps sensible Daten abgefragt, um die Aktionsbereitschaft der Mitglieder einschätzen zu können. Die Fragen, ob die Aktivisten bereit wären, zivilen Ungehorsam zu begehen, mit welchen Aktionsformen sie in der Vergangenheit Erfahrungen gemacht hätten und ob sie bereit wären ins Gefängnis zu gehen machte viele Aktivisten hellhörig, vor allem da nicht deutlich gemacht wurde, was mit den Daten passieren sollte. Zu guter letzt konnte sich diese Daten auf Wunsch des Nutzers mit den Kontaktdaten verknüpfen lassen. Auf Twitter musste sich XR daher den Vorwurf gefallen lassen, möglicherweise ein Honeypot des Verfassungsschutzes zu sein. Extinction Rebellion Deutschland reagierte glücklicherweise mit der vollständigen Löschung aller kritischen Daten.


Währen XR in Berlin den großen Stern besetzte, arbeitet sich Jutta Dittfurth auf Twitter an ihnen ab. XR wurde vorgeworfen, gezielt junge Menschen zu emotionalisieren, Ängste aufzubauen, um sie zur Selbstaufopferung zu bringen. Hierbei resultiert der Vorwurf einer esoterischen Sekte. Viele linke Aktivisten und Bewegungen betrachten XR mittlerweile kritisch. Sie werfen der Bewegung vor, trotz ihrer Selbstdarstellung hierarchisch organisiert zu sein und eine Querfront bilden zu wollen - Grund hierfür ist beispielsweise eine Aussage von dem Co-Gründer der Bewegung Roger Hallam: "Anders als klassische linke Bewegungen schließen wir niemanden aus, auch jemand der ein bisschen sexistisch oder rassistisch denkt, kann bei uns mitmachen". Obwohl XR sich immer wieder versucht von der extremen Linken zu distanzieren, greift man gerne auf diese Strukturen am Beispiels des Ermittlungsausschusses zurück, falls nach einer Demo Anwält*innen benötigt werden. Vielen Personen waren außerdem entäuscht davon, dass sich XR von einer Sitzblockade distanziert hatte, nachdem nach Schmerzgriffen >> Fuck The Police<< gerufen wurde. Für XR war die Beleidigung Gewalt gegenüber der Polizei und nicht mit der Philosophie der Bewegung zu vereinbaren. Ähnlich kritische Punkte finden sich auf dem Hambibleibt Account.


Trotz aller Kritik die in den letzten Wochen an Extinction Rebellion aufgekommen ist, diese Bewegung ein enormes Mobilierungspotenzial. Der Schritt kleine Fehler und Versäumnisse aufzuzeigen ist heutzutage schnell getan. Leider bleibt es meist nicht beim aufzuzeigen, sondern führt in einen Outrage/Outcall Circle. XR wurde in den letzten Wochen von vielen Menschen als homogene Gruppe kritisiert - tatsächlich besteht die Gruppierung aber aus vielen kleinen Ortsgruppen, auf die die oben genannten Kritik nicht zutreffen dürfte. Menschen, die sich in antifaschistischen Ortsgruppen engagieren, dürfte diese Art der Kritik der bekannt vorkommen. Metronaut hat hierzu einen Artikel veröffentlicht, der meine Gefühle zu XR auf den Punkt bringt.


Musik

Wo wir schon von Solidarität mit den neuen Klimaprotesten reden: Kurz nachdem FFF am 20.09. zum Generalstreik aufgerufen hat, veröffentlichte Veedel Kaztro seinen neuen Track Wasser. Hierin zelebrieren er und seine Gang gekonnt swaggy ihren klimabewussten Lifestyle: Glas- statt Playstikflaschen, Jute- statt Plastikflaschen und Öffis statt SUVs. Veedel Kaztro wird zur Stimme einer ganzen Generation.


Während sich Veedel K. von klischeebehafteten Hip Hop Themen entfernt und den Ökoswag feiert, greifen die Düsseldorf Düsterboys wiederum auf eines der Lieblingsthemen von Rappern zurück - Mütter. Die Düsseldorf Düsterboys sind das Sideproject von zwei Mitgliedern von International Music, die vielversprechendste deutsche Rock/Indie/Krautrock Formation der letzten Jahre. Der treibende Gitarrensound wurde auf “Oh, Mama”durch atmosphärische Orgeln und chorale Gesänge ersetzt und auch textlich hat der Track eine schwerer Note. Mit Kaffee aus der Küche werden wiederum vertrautere Töne angestimmt - krautige Gitarrenriffs und repetitive Vierzeiler. Die neue LP Nenn Mich Musik erschien am 25.10.2019. Zwei Dinge auf die mich freue: der drei Jahre alte Sommerhit Tenerifa ist endlich abseits des Internets zu hören und Kneipe von International Music bekommt eine Neuauflage mit DC Schneider.


Eine andere Neuveröffentlichung aus diesem Monat ist Iowa Dream von Arthur Russel. Arthur Russel war ein avantgardistischer Cellist aus New York der zu seiner Zeit keine Berührungsängste mit Musikgenres mit Pop, Disco und Electronica hatte. Traurigerweise ist er 1992 viel zu früh an den Folgen einer HIV-Infektion gestorben. Iowa Dream wird 19 bisher unveröffentlichte Tracks beinhalten, “You Did It Yourself” ist einer davon und bereits auf Youtube zu finden. Arthur Russels "Soon-To-Be Innocent Fun/Let's See" hat mich schon durch den letzten Herbst gebracht, umso mehr freue ich mich, dass ein Jahr später ein neues Album von ihm erscheint. Während ich diese Zeile schreibe, bin ich auf die Dokumentation "Wild Combination: A Portrait of Arthur Russell" aufmerksam geworden, welche sich mit dem Leben des Musikers beschäftigt. Ich habe sie mir bisher noch nicht anschauen können, wer allerdings die Zeit und die 10 $ übrig hat, soll dies bitte tun und mir Rückmeldung geben.


Grim104 - der rastlose Teil von Zugezogen Maskulin - hat Anfang des Monats auf Instagram angedeutet neuen Output zu veröffentlichen. Mittlerweile sind Track und Video online zu finden. Graf Grim ist Teil der neuen LP Das Grauen, das Grauen, welchesam 31.10 erschienen ist. Sein Debütalbum liegt nunmehr sechs Jahre zurück, Grim hat mittlerweile die magische dreißig erreicht und setzt dementsprechend neue thematische Schwerpunkte - Grusel Turn Up im alten Europa statt Teenage Angst an Brandenburger Seen. Horrorcore war nie mein Fall - zu chauvinistisch, zu viel Splatter - aber Grim könnte es schaffen, das Subgenre mit innovativen Ideen anzureichern. Öfters ist in diesem Zusammenhang der Begriff Gruselrap gefallen und wer wenn nicht Grimmi hätte es verdient, ein eigenes Subgenre zu erhalten. Interessante Interviews hierzu wurde bei Nicetry und der wundersamen Rapwoche veröffentlicht.


Ähnlich düster ist der neue Output von Felix Kummer, seines Zeichens Frontmann von Kraftklub und nun wieder solo unterwegs. Mitte Oktober wurde die neue LP veröffentlicht und ist nach kurzer Zeit direkt auf die Eins gegangen. In Anlehnung an den alten Plattenladen von Felix Vater (Kiox), wurde für das Album ein eigener Laden aus dem Boden gestampft. Neben den Singles, die nun schon einige Woche auf Youtube rotieren stechen die Tracks "der Rest meines Lebens", “26” und “Alle Jahre wieder” besonders hervor. Ersterer ist eine Abrechnung mit der aufkommenden Spießigkeit in den späten Zwanzigern, während Felix zynisch die einzelnen Schritte ins Kleinbürgertum beschreibt, intoniert Max Raabe darüber den Weg zum Klub 27 verpasst zu haben. Entgegengesetzt hierzu, steht der nächste Track für einen viel zu früh verstorbenen Bekannten von Felix, der erst im konträren Zusammenspiel mit dem vorherigen Track, seine volle Schwerkraft entfalten kann. Wo vorher noch vor aufkommender Spießigkeit gewarnt wurde, ist alle Jahre wieder eine Abrechnung mit genau dieser Piefigkeit im Endstadium. Der Track besteht aus aneinandergehängten Floskeln und Kommentaren die viele von uns von den Eltern von Partnern oder Freunden kennen dürften. Neben den ganzen Promointerviews, die sich großteils gleichen, hat Vice eine Minidoku veröffentlicht, die sich mit der Jugend von Kummer und Trettmann in Chemnitz beschäftigt und tatsächlich neue Themen aufarbeitet.


Eine Band aus der gleichen Stadt und dem gleichen Haus haben angekündigt, nächstes Jahr ebenfalls ein Album zu veröffentlichen. Hierfür haben Blond eine überaus sympathische Videoankündigung gedreht - mit Dancechoreo und 80er Jahre Rapeinlage. Das Album wird Ende Januar 2020 erscheinen, für Blond allerdings kein Hindernis drei Monate vorher die erste Singleauskopplung rauszuhauen. “Thorsten” ist ein Punk Manifest gegen unqualifizierte Belehrungsversuche von weißen (alten und jungen) Männern gegenüber Frauen. Das Thema wird beispielhaft an dem Soundmann Thorsten abgearbeitet, der den weiblichen Teil der Band dafür lohnt, die Instrumente - trotz Geschlecht - so gut verkabelt zu haben.


You'll Be Missed

Auf Theodor Wonja Michael bin ich das erste Mal aufmerksam geworden, als sein Leben in der Youtube Serie Schwarz Rot Gold aufgearbeitet wurde. In dieser Folge berichtet Theodor Wonja Michael mit großväterlichen Ton über seine Erfahrungen im faschistischen Deutschland, über sein späteres Leben und rassistische Ausgrenzung in der BRD. Theodor Wonja Michael gehört zu den wenigen schwarzen Deutschen, die das nationalsozialistische Deutschland überlebt haben. Theodor musste in jungen Jahren an Völkerschauen teilnehmen, bei denen er in zoologischen Ausstellungen zur Schau gestellt wurde. Mit der Machtergreifung Hitlers wurde Theodor als Statist in rassistische Propagandafilme eingebunden - für ihn war das eine Existenzfrage, etliche schwarze Deutsche wurden in Konzentrationslagern hingerichtet. Nach dem Krieg war Theodor weiterhin als Schauspieler tätig, jetzt allerdings ohne Zwang. In den Siebzigern fing Theodor an beim BND zu arbeiten und wurde somit zum ersten schwarzen Bundesbeamten, im höheren Dienst. Theodor Wonja Michael war eine wichtige Stimme für die schwarze Community und für die Aufarbeitung des faschistischen Deutschlands. Mit 94 Jahren starb Theodor Wonja Michael am 21.10.2019. Wer sich für seine Geschichte interessiert, dem sei seine Autobiografie “Deutsch sein und schwarz dazu: Erinnerungen eines Afro-Deutschen” an Herz gelegt. Neben Theodor Wonja Michael gibt es nach der Initiative Schwarze Menschen (ISM) nur eine weitere schwarze deutsche Zeitzeugin des Nationalsozialismus.